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Altersvorsorge 
Donnerstag, 07.02.2019

Gibt Europa mehr Betriebsrente nach Insolvenz des Arbeitgebers?

Doch ist das mit europäischem Recht so vereinbar? Oder muss mehr vom Betriebserwerber, der einen Betrieb nach einer Insolvenz fortführt, gezahlt werden? Mit dieser Frage hatte sich der Pensionssenat des Bundesarbeitsgerichts zu befassen und legte die damit zusammenhängenden Fragen dem Europäischen Gerichtshof vor (BAG, Vorlagebeschluss vom 16.10.2018 - 3 AZR 13/17 (A) und 3 AZR 878/17 (A)).

Der Fall:

Den beiden klagenden Beschäftigten sind Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zugesagt worden. Nach der Versorgungsordnung berechnet sich ihre Betriebsrente nach der Anzahl der Dienstjahre und dem - zu einem bestimmten Stichtag vor dem Ausscheiden - erzielten Gehalt. Über das Vermögen ihrer Arbeitgeberin wurde am 01.03.2009 das Insolvenzverfahren eröffnet. Im April 2009 ging der Betrieb aufgrund eines Betriebsübergangs auf die neue Arbeitgeberin (Beklagte) über.

Ein Kläger erhält seit August 2015 von der Beklagten eine Betriebsrente i.H.v. ca. 145 EURund vom Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) - dem gesetzlich bestimmten Träger der Insolvenzsicherung - eine Altersrente i.H.v. ca. 817 EUR. Bei deren Berechnung legte der PSV - wie im Betriebsrentengesetz vorgesehen - das zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens maßgebliche Gehalt des Klägers zugrunde. Der Kläger hält die neue Arbeitgeberin für verpflichtet, ihm eine höhere Betriebsrente zu gewähren; diese müsse sich nach den Bestimmungen der Versorgungsordnung auf der Basis des zum Stichtag vor dem Versorgungsfall bezogenen Gehalts unter bloßem Abzug des Betrages errechnen, den er vom PSV erhalte. Der andere Kläger verfügte bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht über eine gesetzlich unverfallbare Anwartschaft. Daher steht ihm bei Eintritt eines Versorgungsfalles nach dem Betriebsrentengesetz kein Anspruch gegen den PSV zu. Er hält die Beklagte für verpflichtet, ihm künftig eine Betriebsrente in voller Höhe zu gewähren.

Der Vorlagebeschluss:

Nach der derzeitigen - im Hinblick auf die besonderen Verteilungsgrundsätze des Insolvenzrechts einschränkenden - Auslegung von § 613a Abs. 1 BGB durch die deutschen Arbeitsgerichte würden die Kläger mit ihren Klagebegehren nicht durchdringen. Der Senat möchte vom Europäischen Gerichtshof wissen, ob eine solche einschränkende Geltung von § 613a Abs. 1 BGB im Fall eines Betriebsübergangs im Insolvenzverfahren mit Art. 3 Abs. 4, Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/23/EG im Einklang steht und ob ggf. Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG vorliegend unmittelbare Geltung entfaltet und sich der Arbeitnehmer deshalb auch gegenüber dem PSV auf diesen berufen kann.

Hier die Fragen an den EuGH:

1. Erlaubt Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12.03.2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen bei einem Betriebsübergang nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Betriebsveräußerers im nationalen Recht, welches grundsätzlich die Anwendung von Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 der Richtlinie 2001/23/EG auch für die Rechte der Arbeitnehmer auf Leistungen bei Alter, Invalidität oder für Hinterbliebene aus betrieblichen oder überbetrieblichen Zusatzversorgungseinrichtungen bei einem Betriebsübergang anordnet, eine Einschränkung dahingehend, dass der Erwerber nicht für Anwartschaften haftet, die auf Beschäftigungszeiten vor der Insolvenzeröffnung beruhen?

2. Falls die erste Vorlagefrage bejaht wird: Richten sich die nach Art. 3 Abs. 4 Buchstabe b der Richtlinie 2001/23/EG notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Interessen der Arbeitnehmer hinsichtlich ihrer Rechte oder Anwartschaftsrechte auf Leistungen bei Alter aus betrieblichen oder überbetrieblichen Zusatzversorgungseinrichtungen bei einem Betriebsübergang nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Betriebsveräußerers nach dem von Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.10.2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers geforderten Schutzniveau?

3. Falls die zweite Vorlagefrage verneint wird: Ist Art. 3 Abs. 4 Buchstabe b der Richtlinie 2001/23/EG dahin auszulegen, dass die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Interessen der Arbeitnehmer hinsichtlich ihrer Rechte oder Anwartschaftsrechte auf Leistungen bei Alter aus betrieblichen oder überbetrieblichen Zusatzversorgungseinrichtungen getroffen sind, wenn das nationale Recht vorsieht, dass

  • betrieblichen oder überbetrieblichen Zusatzversorgungseinrichtung künftig eine Leistung bei Alter zu gewähren, grundsätzlich auf den Betriebserwerber übergeht,

  • der Betriebserwerber für Versorgungsanwartschaften, deren Höhe sich unter anderem nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit und des Arbeitsentgelts bei Eintritt des Versorgungsfalles bestimmt, in dem Umfang haftet, in dem diese auf die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachten Zeiten der Betriebszugehörigkeit beruhen,

  • der nach nationalem Recht bestimmte Träger der Insolvenzsicherung in diesem Fall für den vor der Insolvenzeröffnung erworbenen Teil der Versorgungsanwartschaft insoweit einzutreten hat, als dessen Höhe sich nach dem zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung vom Arbeitnehmer bezogenen Arbeitsentgelt errechnet, und

  • weder der Erwerber noch der Träger der Insolvenzsicherung für die Steigerungen der Versorgungsanwartschaft haften, die durch zwar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens stattfindende Erhöhungen des Arbeitsentgelts, aber für vor diesem Zeitpunkt erbrachte Zeiten der Betriebszugehörigkeit erfolgen,

  • der Arbeitnehmer diese wertmäßige Differenz seiner Anwartschaft aber im Insolvenzverfahren des Veräußerers geltend machen kann?

4. Ist, wenn das nationale Recht die Anwendung von Art. 3 und Art. 4 der Richtlinie 2001/23/EG im Fall eines Betriebsübergangs auch während eines Insolvenzverfahrens anordnet, Art. 5 Abs. 2 Buchstabe a der Richtlinie 2001/23/EG auf Versorgungsanwartschaften der Arbeitnehmer aus betrieblichen oder überbetrieblichen Zusatzversorgungseinrichtungen anwendbar, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwar bereits entstanden sind, jedoch erst bei Eintritt des Versorgungsfalles und damit erst zu einem späteren Zeitpunkt zu Leistungsansprüchen der Arbeitnehmer führen?

5. Falls die zweite oder die vierte Vorlagefrage bejaht werden: Erfasst das nach Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.10.2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers von den Mitgliedstaaten zu gewährende Mindestschutzniveau auch den Teil der zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung erworbenen Versorgungsanwartschaft, der nur deshalb entsteht, weil das Arbeitsverhältnis nicht im Zusammenhang mit der Insolvenz beendet wird?

6. Falls die fünfte Vorlagefrage bejaht wird: Verluste des ehemaligen Arbeitnehmers bei den Leistungen der betrieblichen Altersversorgung als offensichtlich unverhältnismäßig angesehen werden und damit die Mitgliedstaaten verpflichten, hiergegen einen Mindestschutz nach Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG zu gewährleisten, obwohl der ehemalige Arbeitnehmer mindestens die Hälfte der Leistungen erhält, die sich aus seinen erworbenen Rentenansprüchen ergeben?

7. Falls die fünfte Vorlagefrage bejaht wird: Wird ein nach Art. 3 Absatz 4 Buchstabe b der Richtlinie 2001/23/EG oder Art. 5 Absatz 2 Buchstabe a der Richtlinie 2001/23/EG erforderlicher - Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG gleichwertiger - Schutz für Versorgungsanwartschaften der Arbeitnehmer auch dann gewährt, wenn sich dieser nicht aus dem nationalen Recht, sondern nur aus einer unmittelbaren Anwendung von Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG ergibt?

8. Falls die siebte Vorlagefrage bejaht wird: Entfaltet Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG auch dann unmittelbare Wirkung, sodass er von einem einzelnen Arbeitnehmer vor dem nationalen Gericht geltend gemacht werden kann, wenn dieser zwar mindestens die Hälfte der Leistungen erhält, die sich aus seinen erworbenen Rentenansprüchen ergeben, seine durch die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers erlittenen Verluste aber dennoch als unverhältnismäßig anzusehen sind?

9. Falls die achte Vorlagefrage bejaht wird: Ist eine privatrechtlich organisierte Einrichtung, die von dem Mitgliedstaat - für die Arbeitgeber verpflichtend - als Träger der Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersversorgung bestimmt ist, der staatlichen Finanzdienstleistungsaufsicht unterliegt sowie die für die Insolvenzsicherung erforderlichen Beiträge kraft öffentlichen Rechts von den Arbeitgebern erhebt und wie eine Behörde die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung durch Verwaltungsakt herstellen kann, eine öffentliche Stelle des Mitgliedstaates?

Hinweis für die Praxis:

Im Kern geht es darum, ob die deutschen Regelungen greifen oder ob nach Europarecht höhere Betriebsrenten zu zahlen sind. Sind höhere Betriebsrenten vom Betriebserwerber nach einer Insolvenz zu zahlen, wird dies natürlich deutlichen Einfluss auf die Fortführung von Unternehmen nach einer Insolvenz haben. Insolvenzverwalter und Interessenten sind gut beraten, diesen Vorlagebeschluss bei Entscheidungen über eine Fortführung zumindest vorsichtshalber zu berücksichtigen und Mehrbelastungen einzukalkulieren.

Das Revisionsverfahren vor dem BAG wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen ausgesetzt.

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